Bildung ist ein wertvolles und erstrebenswertes Gut
 
Jägern und Sammlern auf der Spur

Jägern und Sammlern auf der Spur

Würdet Ihr in der Wildnis überleben? Der Psychologieoberstufenkurs stutzt – vermutlich nicht. Was würdet ihr tun, wenn ein angriffslustiger Eber auf euch zu rennt? Die zivilisatorischen Annehmlichkeiten sind uns zur Gewohnheit geworden, die zivilisatorische Reizüberflutung zur zweiten Haut. Der Wildnispädagoge, Martino Abis, nickt erfahrungsgesättigt und erklärt, was wir von Wildtieren in deutschen Wäldern für unser Leben und Überleben lernen konnten und immer noch lernen können und wie wir uns vor Wildtieren schützen.

Neben zerfetzten Vogelfedern kniend verdeutlicht er, woran ein erfahrener Spurenleser erkennen kann, ob es ein Habicht oder ein Fuchs gewesen ist, der das Tier erlegt hat. Während unser Dschungeltour durch den deutschen Wald neben unserer eigenen Haustür erfahren wir, was der menschliche Eingriff der vermeintlich idyllischen Naturlandschaft bereits angetan hat. Das Streben nach schnellem, verwertbaren Holz hat die Ansiedlung von schnell und hochwachsenden Fichten vorangetrieben. Herr Abis lenkt den Schüler*innenblick auf das morsche Altholz, das zwar einen erquickender Lebensraum für viele Insekten- und Spechtarten bietet, aber zugleich auch die Anfälligkeit diese Baumart für Starkwinde erhöht. An entwurzelten Fichten wird erklärt, dass es sich um Flachwurzler handelt, die durch Pilzbefall geschwächt werden und in diese Region eigentlich gar nicht gehören. Im Einklang mit der aktuellen Umweltbehörde plädiert Herr Abis daher für einen Buchen-Kiefern-Mischwald und nutzt die Gelegenheit, an den Früchten der Nadelbäume den Unterschied zwischen Kiefern- und Fichtenzapfen darzustellen.

 

Dass wir unseren Sinnen mehr trauen können als manch einer erwartet, wird während des Wahrnehmungsspiels ‚Ich höre dich‘ mehr als deutlich: Einer mutigen Schülerin werden die Augen verbunden, vor ihr liegen vordem gesammelte Fichtenzapfen, die ‚Waffen‘ der blinden Verteidigerin gegen ‚Angreifer‘, die ihr den klimpernden Schlüsselschatz entreißen wollen. Mithilfe einer althergebrachten Anschleichtechnik sollen sich ihre Mitschüler*innen so leise heranschleichen, dass sie ihr den Schatz entwenden können. Das erweist sich als nicht so leichtes Unterfangen, da die gespitzten Ohren des ‚blinden Tieres‘ jeden knackenden Ast sensibel wahrzunehmen weiß und sich mit ihren Zapfen aktiv verteidigt. Am Ende obsiegt aber dennoch die anschleichende Mehrheit durch gezieltes Teamwork.

Die einzigartige Geräuschkulisse bietet den Oberstufenschüler*innen außerdem eine kleine Auszeit von der permanenten Reizkulisse der Konsumgesellschaft. Die ‚Stilleübung‘, bei der jede Schülerin und jeder Schüler sich in einem entlegenen Waldstück einen ruhigen Ort für sich allein auswählen kann und 20 Minuten lang nur auf die Stimmen des Waldes horchen soll, stellt für die / den eine/n oder andere/n Schüler/in im digitalen Zeitalter eine Herausforderung dar, wirft sie die Schüler*innen doch für einen schier endlosen Moment ganz auf sich selbst zurück. Ebenso genießen einige Teilnehmer*innen aber auch diesen Augenblick nur für sich selbst, das Blinzeln in die Sonnenstrahlen durch die Baumkronen hinweg. Ein winziger Moment, in dem nichts von ihnen ‚gefordert‘, nicht ‚gewollt‘ und keine ‚Erwartungen‘ an die jungen Menschen gestellt werden. Ein Augenblick, den man in anderen Zeiten auch als ‚Kontemplation‘ bezeichnet hat.

Die Rast an einem kleinen Tümpel erlaubt Herrn Abis ein kleines Experiment: Eine Schülerin wird aufgefordert, sich mit geschlossenen Augen in die Lebenswelt eines Fuchses hineinzuversetzen. Aus seiner Perspektive durchstreift sie im Geiste den Wald, die Gräser, nimmt seine Spur auf. Dann soll sie die Augen öffnen und der mental wahrgenommenen ‚Fährte‘ des imaginären Fuchses folgen, intuitiv. Das erstaunliche Experimentalergebnis: Ohne Kenntnis der Gegend findet die Schülerin einen Fuchsbau. Offensichtlich haben auch wir Menschen noch funktionierende Instinktreste, die aber vielleicht mitunter vom Lärm der Freizeitkultur verschluckt werden. Selbstverständlich lieben wir die kulturellen Errungenschaften und möchten sie auch nicht missen, aber hin- und wieder kann das Eintauchen in die Welt freilebender Tiere in natürlicher Umgebung uns auch daran erinnern, was wir dabei (vielleicht) verloren haben.